Die saterfriesische Sprache, auch bekannt als Seeltersk oder Saterländisch, ist die letzte verbliebene Varietät des ostfriesischen Friesisch und wird heute in der Gemeinde Saterland im Landkreis Cloppenburg, Niedersachsen, gesprochen. Mit geschätzten 1.500 bis 2.500 Sprechern gehört sie zu den kleinsten Sprachgemeinschaften Europas. Ihre Geschichte, linguistische Merkmale und der Bezug zu Ostfriesland sind von besonderem Interesse für Sprachwissenschaftler und Kulturhistoriker.
Historischer Hintergrund
Ursprung und Verbreitung des Ostfriesischen
Die ostfriesische Sprache, auch osterlauwerssches Friesisch genannt, bildete den östlichen Zweig der friesischen Sprachfamilie. Historisch wurde sie in einem Gebiet gesprochen, das sich von der Lauwers im Westen bis zur Weser im Osten erstreckte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Ostfriesische jedoch zunehmend durch niederdeutsche Dialekte verdrängt und ist heute nahezu ausgestorben. Lediglich im Saterland hat sich mit der saterfriesischen Sprache ein Dialekt erhalten, der als letzter Vertreter des Ostfriesischen gilt.
Besiedlung des Saterlandes
Um das Jahr 1200 verließen Siedler aus Ostfriesland aufgrund mehrerer verheerender Sturmfluten ihre Heimat und ließen sich im heutigen Saterland nieder. Dort trafen sie auf eine dünn besiedelte westfälisch-sächsische Bevölkerung, die sie im Laufe der Zeit assimilierten. Die isolierte Lage des Saterlandes, umgeben von nahezu unpassierbaren Moorgebieten, trug dazu bei, dass die saterfriesische Sprache über Jahrhunderte hinweg erhalten blieb.
Geografische Verteilung
Die saterfriesische Sprache ist in der heutigen Gemeinde Saterland noch in allen vier Ortschaften verbreitet. Stellmacher gibt auf Basis seiner Umfrage von 1995 an, dass 39,7 Prozent der Einwohner der Ortschaft Ramsloh (saterfriesisch Roomelse) Saterfriesisch sprechen, in Scharrel (Skäddel) sind es 28,9 Prozent, in Strücklingen (Strukelje) 26,2 Prozent. Im erst im 19. Jahrhundert besiedelten Sedelsberg (Sedelsbierich) sind es nur 9,6 Prozent.
Auf historischem Saterländer Grund liegen auch die nicht friesischsprachigen Ortschaften Idafehn (Gemeinde Ostrhauderfehn), Elisabethfehn (Gemeinde Barßel) und Neuscharrel (Stadt Friesoythe). Diese Fehnsiedlungen wurden hauptsächlich von Siedlern aus Oldenburg und Ostfriesland gegründet und waren somit nicht oder kaum friesischsprachig. Neuscharrel entstand im 19. Jahrhundert von Scharrel aus, doch wie in der Kolonie Sedelsberg konnte sich das Friesische nicht nachhaltig etablieren. Ende des 19. Jahrhunderts zählte Paul Kollmann in Neuscharrel noch 59 friesischsprachige Einwohner (12,7 Prozent).
Offizieller Status
Seit 1999, als in Deutschland die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Kraft trat, genießt die saterfriesische Sprache als anerkannte Minderheitensprache besonderen Schutz und ein Recht auf Förderung. In der Gemeinde Saterland ist die Sprache auch zum Amtsgebrauch zugelassen. Die Ortsschilder der vier Saterländer Ortschaften sind zweisprachig beschriftet. Rund 300 Kinder lernen die Sprache freiwillig in Schulen und Kindergärten (siehe auch: Friesischunterricht in Deutschland).
Seit 2004 hat das Saterfriesische zudem einen eigenen Sendeplatz auf dem lokalen Sender Ems-Vechte-Welle. Für diese Sprache existiert kein eigenes ISO-639-2-Kürzel; es kann „gem“ verwendet werden, was für „sonstige germanische Sprachen/Dialekte“ steht. Das ISO-639-3-Kürzel für Saterfriesisch ist „stq“.
Dialekte
Die saterfriesische Sprache lässt sich in drei Ortsdialekte unterteilen: Scharreler, Ramsloher und Strücklinger-Utender Dialekt. Die Unterschiede zwischen diesen Dialekten sind jedoch gering.
Linguistische Merkmale
Klassifikation
Die saterfriesische Sprache gehört zur westgermanischen Sprachfamilie und ist eng mit dem Englischen sowie den anderen friesischen Sprachen, dem Nord- und Westfriesischen, verwandt. Diese drei friesischen Sprachen stammen gemeinsam vom Altfriesischen ab, haben sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte eigenständig weiterentwickelt.
Phonetik und Phonologie
Die saterfriesische Phonologie gilt als sehr konservativ und bewahrt viele Merkmale des Altfriesischen. Die Sprache zeichnet sich durch eine Vielzahl von Vokalen und Diphthongen aus. Beispielsweise existieren im Saterfriesischen sowohl kurze als auch lange Vokale sowie eine Reihe von Diphthongen wie „ai“, „au“ und „ieu“. Die Konsonanteninventar umfasst typische westgermanische Laute, wobei einige, wie das „r“, je nach Position im Wort unterschiedlich realisiert werden können.
Morphologie und Syntax
In der Morphologie weist die saterfriesische Sprache eine Reihe von Besonderheiten auf. Die Personalpronomen unterscheiden sich je nach Person, Zahl und Geschlecht. Beispielsweise lautet das Pronomen der ersten Person Singular „iek“, während die erste Person Plural „wie“ ist. Die Zahlen von eins bis zehn variieren ebenfalls in ihrer Form, abhängig vom Genus des nachfolgenden Substantivs. In der Syntax folgt das Saterfriesische grundsätzlich der typischen germanischen Satzstruktur, weist jedoch eigene Besonderheiten und Idiomatismen auf.
Aktuelle Situation
Sprecherzahl und Verbreitung
Aktuellen Schätzungen zufolge sprechen etwa 2.250 Menschen im Saterland Saterfriesisch, wobei die Mehrheit der Muttersprachler zur älteren Generation gehört. Dennoch gibt es Anzeichen für eine Wiederbelebung der Sprache, da vermehrt jüngere Menschen Interesse zeigen und einige Familien ihre Kinder wieder in Saterfriesisch erziehen.
Bildungsinitiativen
Um die saterfriesische Sprache zu erhalten, wurden verschiedene Bildungsinitiativen ins Leben gerufen. In Kindergärten und Grundschulen des Saterlandes wird Saterfriesisch als freiwilliges Fach angeboten. Lehrer wie Anne Hüntling engagieren sich, um den Kindern die Sprache näherzubringen. Zudem gibt es Arbeitsgemeinschaften und Projekte, die darauf abzielen, die Sprache im Alltag der Kinder zu verankern.
Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit
Die Sichtbarkeit der saterfriesischen Sprache in der Öffentlichkeit wird durch verschiedene Maßnahmen gefördert. So sind beispielsweise die Ortsschilder der vier Gemeindeteile des Saterlandes zweisprachig beschriftet, und es gibt Hinweisschilder in öffentlichen Gebäuden, die darauf hinweisen, dass Saterfriesisch gesprochen wird. Zudem werden regelmäßig Artikel in lokalen Zeitungen auf Saterfriesisch veröffentlicht, und es gibt Radiosendungen, die in der Sprache ausgestrahlt werden.
Saterfriesisch und Ostfriesland
Historische Verbindungen
Obwohl das Saterland heute administrativ zum Landkreis Cloppenburg gehört, bestehen enge historische und kulturelle Verbindungen zu Ostfriesland. Die ursprünglichen Siedler des Saterlandes stammten aus Ostfriesland, und die saterfriesische Sprache ist ein direkter Nachfahre des ostfriesischen Friesisch. Diese Verbindung spiegelt sich auch in kulturellen Traditionen und Bräuchen wider, die im Saterland gepflegt werden.
Sprachliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Während das Saterfriesische als eigenständige Sprache gilt, gibt es dennoch Gemeinsamkeiten mit dem ostfriesischen Platt, einem niederdeutschen Dialekt, der in Ostfriesland vorherrscht. Aufgrund jahrhundertelanger Nachbarschaft haben beide Sprachformen Lehnwörter und sprachliche Strukturen voneinander übernommen. Dennoch gibt es entscheidende Unterschiede:
- Saterfriesisch ist eine friesische Sprache, die von der altfriesischen Sprachgruppe abstammt. Es hat daher engere Verbindungen zum Westfriesischen in den Niederlanden und zum Nordfriesischen in Schleswig-Holstein.
- Ostfriesisches Platt ist ein niederdeutscher Dialekt, der sprachlich dem Niederdeutschen zuzuordnen ist und eng mit dem Norddeutschen, insbesondere dem Holsteinischen und Oldenburgischen, verwandt ist.
- Wortschatz und Phonologie unterscheiden sich stark: Während ostfriesisches Platt viele germanische Lehnwörter enthält, hat das Saterfriesische einige altfriesische Elemente bewahrt, die im Plattdeutschen nicht mehr vorkommen.
Ein Beispiel für die Unterschiede ist das Wort für „ich“:
- Saterfriesisch: iek
- Ostfriesisches Platt: ik
- Hochdeutsch: ich
Trotz dieser Unterschiede gibt es in der Region ein starkes Bewusstsein für die friesische Identität, und die saterfriesische Sprache wird von manchen als symbolische Verbindung zum friesischen Erbe Ostfrieslands betrachtet.
Kulturelle Bedeutung und Identität
Saterfriesisch als Identitätsmerkmal
Die saterfriesische Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Identität der Saterländer. Sie wird als Erbe einer jahrhundertealten friesischen Tradition betrachtet. Viele Saterländer sehen die Sprache als Teil ihrer regionalen Eigenständigkeit und pflegen bewusst die friesische Kultur, um sich von der umgebenden niedersächsischen und plattdeutschen Kultur abzugrenzen.
Zahlreiche kulturelle Veranstaltungen im Saterland sind eng mit der friesischen Identität verknüpft, darunter:
- Dorffeste mit friesischen Elementen, bei denen Lieder, Gedichte und Reden auf Saterfriesisch gehalten werden.
- Saterfriesische Theatergruppen, die Stücke in der Sprache aufführen.
- Traditionelle Feiertage mit friesischem Ursprung, die in der Region gefeiert werden.
Saterfriesische Literatur und Musik
Die saterfriesische Sprache hat eine kleine, aber lebendige literarische Tradition. In den letzten Jahrzehnten sind mehrere Bücher auf Saterfriesisch erschienen, darunter:
- Märchen- und Kinderbücher, um die Sprache an die jüngere Generation weiterzugeben.
- Gedichtbände und Kurzgeschichten, die das Alltagsleben im Saterland widerspiegeln.
- Übersetzungen weltberühmter Werke wie die der Brüder Grimm, um die Literatur in der Minderheitensprache zu fördern.
Auch in der Musikszene gibt es Bestrebungen, die Sprache zu erhalten. Einige Volksmusiker schreiben und singen auf Saterfriesisch, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Herausforderungen
Bedrohung durch Sprachverlust
Wie viele kleine Minderheitensprachen steht auch das Saterfriesische vor dem Risiko des Aussterbens. Die größten Herausforderungen sind:
- Generationsverlust: Viele jüngere Menschen sprechen die Sprache nicht mehr aktiv und bevorzugen Deutsch oder Plattdeutsch im Alltag.
- Fehlende wirtschaftliche Relevanz: Saterfriesisch ist nicht erforderlich für beruflichen Erfolg, was seine Attraktivität für junge Menschen verringert.
- Dominanz des Hochdeutschen und Plattdeutschen: Die stärkere Präsenz dieser Sprachen verdrängt Saterfriesisch im öffentlichen und privaten Raum.
Laut UNESCO wird die saterfriesische Sprache als „sehr gefährdete“ Sprache eingestuft.
Maßnahmen zur Revitalisierung
Trotz der Bedrohung gibt es Bemühungen, die saterfriesische Sprache zu erhalten:
- Sprachförderung in Schulen und Kindergärten: Einige Einrichtungen bieten Unterricht in der Sprache an.
- Zweisprachige Ortsschilder und offizielle Dokumente: Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit soll das Bewusstsein für die Sprache stärken.
- Mediale Förderung: Radio- und Fernsehsendungen auf Saterfriesisch, z. B. beim NDR, helfen, die Sprache lebendig zu halten.
Fazit
Die saterfriesische Sprache ist die letzte Varietät des ostfriesischen Friesisch und eine stark bedrohte Sprache. Ihre isolierte Entwicklung bewahrte sie über Jahrhunderte, doch heute gefährden Generationsverlust, wirtschaftliche Irrelevanz und der Einfluss des Hochdeutschen ihr Überleben. Die Sprache unterscheidet sich vom Ostfriesischen Platt, ist eng mit anderen friesischen Dialekten verwandt und bewahrt altfriesische Elemente. Trotz Bildungsprogrammen und zweisprachiger Beschilderung bleibt der Erhalt herausfordernd. Ihr Fortbestand hängt von gezielten Fördermaßnahmen und wachsendem öffentlichen Interesse ab, um die friesische Identität zu bewahren.
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