Hamburg – Wer in den Wintermonaten über die Nord- und Ostseestrände von Norderney, Sylt, Sankt Peter-Ording oder in Boltenhagen und Kühlungsborn spaziert, sieht gelegentlich helle Wolken von Meeresschaum am Ufer tanzen. Doch unter dieser scheinbar harmlosen, schneeweißen Oberfläche lauern Gefahren, wie Greenpeace in einer aktuellen Untersuchung aufdeckt. Die Umweltschutzorganisation hat Spuren sogenannter „Ewigkeitschemikalien“ (PFAS) weit über den dänischen Grenzwerten für Badegewässer nachgewiesen. In mehreren Stichproben lag die Belastung bis zu 3777-mal höher, als der zulässige Wert in Dänemark vorschreibt – und damit auch weit oberhalb des kommenden deutschen Grenzwertes für Trinkwasser. Eine Regelung für PFAS-Belastungen von Badegewässern gibt es in Deutschland bislang nicht.
Was sind PFAS?
Unter dem Begriff PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) wird eine Gruppe von über zehntausend verschiedenen Chemikalien zusammengefasst. Ihre Besonderheit: PFAS sind nur schwer abbaubar und können sich in der Umwelt sowie im menschlichen Körper über lange Zeiträume hinweg anreichern. Das hat ihnen auch den Beinamen „Ewigkeitschemikalien“ eingebracht.
PFAS zeichnen sich durch ihre wasser- und fettabweisenden Eigenschaften aus. Deswegen findet man sie in zahlreichen Alltagsgegenständen, beispielsweise:
- Sport- und Outdoorbekleidung (etwa in wasserdichten Jacken)
- Wasser- und schmutzabweisende Teppiche
- Lebensmittelverpackungen wie Pizzakartons und Backpapier
- Beschichtungen für Kochgeschirr
Für die Industrie sind PFAS also überaus praktische Stoffe – für die Umwelt und Gesundheit hingegen bergen sie große Risiken. Laut Greenpeace sind einige PFAS (wie PFOS und PFOA) darüber hinaus krebserregend, können das Hormonsystem beeinflussen und die Fortpflanzung schädigen. Da diese Stoffe im Körper nicht schnell abgebaut werden, ist eine dauerhafte Belastung der Gesundheit möglich.
Ergebnisse der Greenpeace-Untersuchung
Greenpeace nahm im November 2024 und Januar 2025 insgesamt neun Proben von Meeresschaum an den Nord– und Ostseestränden von Norderney, Sylt, Sankt Peter-Ording, Boltenhagen und Kühlungsborn. Die Ergebnisse sind alarmierend:
- Überschreitung des dänischen Grenzwertes: Der in Dänemark geltende Grenzwert für PFAS in Badegewässern liegt bei 40 Nanogramm pro Liter (ng/L). Doch die gemessenen Werte an der deutschen Küste überstiegen diesen Richtwert zwischen dem 290-Fachen und dem 3777-Fachen.
- Überschreitung des deutschen Trinkwassergrenzwertes ab 2026: Ab dem kommenden Jahr soll in Deutschland ein Grenzwert von 100 ng/L für die Summe der 20 am häufigsten vorkommenden PFAS (PFAS-20) im Trinkwasser gelten. Auch dieser Wert wird an mehreren Strandabschnitten massiv überschritten.
Noch fehlt in Deutschland eine spezifische gesetzliche Regelung für PFAS-Belastungen in Badegewässern. Auf welche Weise die Befunde von Greenpeace Politik und Gesetzgebung nun beeinflussen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Sicher ist jedoch, dass die deutlich erhöhten PFAS-Konzentrationen ein gesundheitliches Risiko darstellen können.

„Wir fordern die Bundesregierung auf, Menschen und Umwelt vor ungerechtfertigten Interessen der Chemiebranche zu stellen. Der Einsatz von PFAS in Gebrauchsgegenständen ist ohne Wenn und Aber zu verbieten.“
— Julios Kontchou, Ökotoxikologe von Greenpeace
Wie gelangt PFAS in den Meeresschaum?
Die chemische Langlebigkeit von PFAS ist Fluch und Segen zugleich – für die Industrie vorteilhaft, für Umwelt und Gesundheit höchst problematisch. Diese Substanzen werden kaum abgebaut. Stattdessen finden sie ihren Weg von Verbrauchsprodukten über Entsorgungswege in den Wasserkreislauf. Ein erheblicher Teil gelangt über die folgenden Wege in die Flüsse und anschließend ins Meer:
- Industrieabwässer: Produktionsstätten, die PFAS nutzen oder herstellen, leiten Abwässer in Flüsse. Selbst kleinste Mengen können sich über die Zeit in der Umwelt anreichern.
- Deponien und Müllentsorgung: Produkte, die PFAS enthalten, landen letztendlich auf Deponien oder in der Verbrennung. Hier können sich PFAS ebenfalls in der Umwelt verteilen.
- Ablaufhäfen und Oberflächenabfluss: Bei Regenfällen und Überläufen von Kläranlagen können PFAS-haltige Stoffe aus Städten oder Landwirtschaftsflächen in Gewässer gelangen.
Über Flüsse gelangen PFAS schließlich in Nord– und Ostsee und reichern sich dort in verschiedener Form an – unter anderem im entstehenden Schaum, der an die Ufer gespült wird. Die Untersuchung von Greenpeace zeigt, dass die im Schaum gebundenen PFAS-Konzentrationen besonders hoch ausfallen können.
Mögliche Risiken für Menschen und Umwelt
Greenpeace warnt eindringlich, dass eine gesundheitliche Gefährdung bei Kontakt mit dem belasteten Schaum nicht auszuschließen ist. Besonders Kinder sind gefährdet, da sie häufig am Strand spielen, Schaum berühren und potenziell verschlucken könnten.
Doch nicht nur der Schaum am Ufer birgt Risiken:
- Böden und Grundwasser: Das Einsickern kontaminierter Schaumreste in den Strandboden kann dazu führen, dass PFAS in das Grundwasser gelangen.
- Luftbelastung: Gischt und Sprühnebel an Küstenorten können PFAS aufnehmen und großflächig verteilen.
- Nahrungskette: Marine Lebewesen reichern PFAS an, welche über die Nahrung auch den Menschen erreichen können.
Da PFAS sich im menschlichen Organismus nur langsam abbauen, kann eine dauerhafte Aufnahme selbst von geringen Mengen langfristige Gesundheitsprobleme nach sich ziehen. Insbesondere für bestimmte PFAS ist erwiesen, dass sie hormonwirksam sind und die Fortpflanzung schädigen können.
Warum handelt die Politik nicht schneller?
Trotz der bekannten Gefahren und des Drucks von Umweltverbänden wie Greenpeace bleibt eine schnelle, umfassende Regulierung aus. Die Chemieindustrie wehrt sich laut Greenpeace gegen ein generelles Verbot von PFAS und setzt auf Ausnahmeregelungen. Auch auf europäischer Ebene wird seit einiger Zeit über striktere Grenzwerte und Verbote diskutiert. Einige Faktoren verzögern jedoch konkrete Maßnahmen:
- Wirtschaftliche Interessen: PFAS werden in unzähligen Produkten verwendet, was ein sehr lukrativer Markt ist.
- Komplexität der Stoffgruppe: Mehr als zehntausend Varianten von PFAS existieren, sodass eine einheitliche Regulierung eine große Herausforderung darstellt.
- Lücken in der Forschung: Obwohl PFAS schon lange bekannt sind, fehlen teils detaillierte Studien zu einzelnen Varianten der Substanzen.
PFAS-Alternativen und Möglichkeiten zum Verzicht
Während die Industrie oftmals darauf verweist, dass PFAS für bestimmte Produkte „unverzichtbar“ seien, gibt es nachweislich viele PFAS-freie Alternativen. So können Hersteller wasserabweisende Beschichtungen auf andere Weise realisieren oder Verpackungsmaterialien nutzen, die ohne PFAS genauso fettdicht und temperaturbeständig sind.
Greenpeace fordert daher, dass die Politik:
- Verbindliche Grenzwerte für Badegewässer festlegt, um Menschen vor akuten Gesundheitsrisiken zu schützen.
- Ein umfassendes Verbot von PFAS in Alltagsprodukten erlässt, ähnlich wie einige Einzelstaaten es bereits vormachen.
- Produzenten und Händler in die Pflicht nimmt, ihre Liefer- und Produktionsketten auf PFAS-freie Alternativen umzustellen.
Handlungsoptionen für Verbraucher
Bis gesetzliche Vorgaben greifen, können sich Verbraucher*innen selbst informieren und auf bestimmte Kaufentscheidungen achten. Folgende Tipps können helfen, die eigene PFAS-Belastung gering zu halten:
- Auf PFAS-freie Kennzeichnungen achten: Manche Hersteller werben bereits offensiv damit, dass ihre Produkte ohne PFAS auskommen.
- Umweltschonende Outdoor-Ausrüstung kaufen, die auf alternative Imprägnierungen setzt.
- Lebensmittelverpackungen hinterfragen: Etwa bei Einwegprodukten wie Pizzakartons oder Verpackungen von Fast-Food.
- Kontakt mit belastetem Schaum vermeiden: Wer an Nord- oder Ostsee-Stränden spaziert, sollte Kinder darauf hinweisen, nicht mit dem Schaum zu spielen oder ihn gar in den Mund zu nehmen.
Ausblick: Hoffnung auf strengere Regeln
Die Veröffentlichung der Greenpeace-Ergebnisse und der explizite Verweis auf die überschrittenen Grenzwerte in anderen Ländern setzen die deutsche Politik unter Druck. Ein Verzicht auf PFAS in vielen Anwendungen ist technisch möglich, wie zahlreiche Beispiele belegen. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein in der Öffentlichkeit über die Gefahren von PFAS, was den Handlungsdruck auf die Entscheidungsträger in Bund und EU erhöhen könnte.
Angesichts der Widerstände der Chemieindustrie wird die Durchsetzung eines umfassenden Verbots in Europa vermutlich zäh und schrittweise erfolgen. Dennoch könnten erhöhte Messwerte an beliebten Urlaubsorten wie Sylt oder Sankt Peter-Ording zu einem stärkeren öffentlichen Interesse führen. Dies wiederum könnte die Politik zum rascheren Handeln bewegen, um Umwelt und Gesundheit vor den „Ewigkeitschemikalien“ zu schützen.
Weiterführende Informationen:
- Greenpeace-Studie zur PFAS-Belastung in Nord- und Ostsee
https://www.greenpeace.de/publikationen/pfas-im-meeresschaum - Informationen über PFAS – Umweltbundesamt (UBA)
https://www.umweltbundesamt.de/pf-was-begriffserklaerung
Fazit
Die aktuellen Messungen an Nord- und Ostseeküsten zeigen einmal mehr, dass PFAS nicht nur ein abstraktes Problem in Produktionsprozessen sind, sondern ihre Spuren mittlerweile direkt in unseren Alltag reichen – bis an den Strand. Der Ball liegt nun bei der Politik, klare Vorgaben zu schaffen, und bei der Industrie, die längst existierenden Alternativen zu nutzen, um Mensch und Natur vor dauerhafter Kontamination zu schützen.
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