Die trilaterale Expertengruppe für Meeressäuger hat ihre neuesten Ergebnisse der jährlichen Bestandsaufnahme von Seehunden für 2024 veröffentlicht. Die Resultate bestätigen frühere Erkenntnisse und zeigen eine deutliche Veränderung der Populationstrends im letzten Jahrzehnt. Die Zahl der Seehunde im Wattenmeer liegt nun unter dem Stand von vor zehn Jahren. Der Seehund, ein Symboltier des Wattenmeers, wird jährlich im grenzüberschreitenden UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer und auf Helgoland beobachtet.
Ergebnisse der aktuellen Zählung
Das Gemeinsame Wattenmeersekretariat der Anrainerstaaten Deutschland, Niederlande und Dänemark in Wilhelmshaven gab bekannt, dass bei der Sommerzählung etwa 23.700 Seehunde erfasst wurden. Dies entspricht einem Plus von fünf Prozent gegenüber 2023, bleibt jedoch deutlich hinter den Zahlen der Jahre 2012 bis 2020 zurück. Während der Bestand zwischen 2003 und 2012 kontinuierlich wuchs und bis 2020 relativ stabil blieb, wurde seitdem ein jährlicher Rückgang verzeichnet.
Besonders besorgniserregend ist, dass der aktuelle Bestand nicht nur unter den Höchstwerten der letzten Dekade liegt, sondern mittlerweile sogar das Niveau von vor zehn Jahren unterschreitet. Dies deutet auf eine tiefgreifende Veränderung hin, die langfristige Folgen für die Population haben könnte.
Bestand: Regionale Unterschiede
Die Entwicklung des Seehundbestands variiert regional stark. In Dänemark sank die Zahl der Tiere um sechs Prozent, in den Niederlanden um zwei Prozent. Im deutschen Wattenmeer hingegen wurde ein Anstieg verzeichnet: In Schleswig-Holstein stieg der Bestand um sieben Prozent, in Niedersachsen und Hamburg sogar um 14 Prozent. Auf Helgoland, wo eine kleine Kolonie von 56 Tieren lebt, ging die Zahl hingegen um 22 Prozent zurück.
Besonders besorgniserregend ist der deutliche Rückgang bei Jungtieren. 2023 wurden 8.230 Jungtiere gezählt – ein Minus von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Außer in Dänemark wurden in allen Regionen weniger Jungtiere geboren.
Rückgang: Mögliche Ursachen
Die genauen Gründe für den langfristigen Rückgang sind bislang unklar, was die Komplexität des Problems unterstreicht. Krankheiten oder großflächige Abwanderungen konnten durch Studien weitgehend ausgeschlossen werden. Stattdessen geraten andere Faktoren zunehmend in den Fokus, darunter die Konkurrenz um Nahrungsressourcen durch andere Tierarten sowie die Auswirkungen menschlicher Einflüsse, wie Schiffsverkehr, Umweltverschmutzung oder Störungen durch Tourismus.
Wissenschaftler betonen die Notwendigkeit gezielter Forschung, um fundierte Erkenntnisse zu gewinnen. Diese sind essenziell, um effektive und langfristige Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die sowohl die Seehundpopulation als auch ihr empfindliches Ökosystem sichern können.
Schutzmaßnahmen und ihre Wirkung
Früher waren Seehunde und Kegelrobben in Nord- und Ostsee weit verbreitet, wurden jedoch im 20. Jahrhundert stark dezimiert. Intensive Schutzbemühungen seit den 1970er-Jahren ermöglichten eine deutliche Erholung der Bestände. Heute erstreckt sich das Wattenmeer über 500 Kilometer entlang der Küsten der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks.
Dieses einzigartige Ökosystem, das 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurde, steht unter dem Schutz der drei Anrainerstaaten. Gemeinsame Anstrengungen haben bisher zur Stabilisierung der Populationen beigetragen, doch der anhaltende Rückgang stellt die bisherigen Erfolge zunehmend in Frage.
Seehunde: Schlüsselart im Wattenmeer
Seehunde sind wichtige Meeresprädatoren und spielen eine entscheidende Rolle im Ökosystem Wattenmeer. Im Rahmen des Trilateral Monitoring and Assessment Programme (TMAP) koordiniert die trilaterale Expertengruppe die Zählungen und harmonisiert die Daten aus der gesamten Wattenmeerregion. Der Seehund ist durch das trilaterale Abkommen zum Schutz der Seehunde im Wattenmeer (WSSA), das unter der Schirmherrschaft der UN-Konvention zur Erhaltung wandernder wildlebender Tierarten (CMS) steht, geschützt.
Herausforderungen
Trotz positiver Entwicklungen in der Vergangenheit stellt der anhaltende Rückgang eine große Herausforderung dar. Besonders die sinkende Geburtenrate bei Jungtieren könnte gravierende Auswirkungen auf die Zukunft der Spezies haben. Wissenschaftler, Naturschützer und politische Entscheidungsträger müssen eng zusammenarbeiten, um die Seehundpopulation im Wattenmeer nachhaltig zu sichern. Nur durch gezielte Forschung und koordinierte Schutzmaßnahmen können diese einzigartigen Tiere und ihr ökologischer Lebensraum bewahrt werden.
Fazit
Der Rückgang der Seehundbestände im Wattenmeer ist ein komplexes und alarmierendes Problem. Trotz vorübergehender Erholungsphasen zeigen die aktuellen Zahlen einen bedenklichen Trend, der dringend angegangen werden muss. Es ist von entscheidender Bedeutung, die zugrunde liegenden Ursachen des Rückgangs zu erforschen und effektive Schutzstrategien zu entwickeln.
Nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Naturschutzorganisationen kann sichergestellt werden, dass diese faszinierenden Tiere auch in Zukunft ein fester Bestandteil des Ökosystems Wattenmeer bleiben. Der Schutz der Seehunde ist nicht nur ein Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt, sondern auch ein Zeichen unserer Verantwortung gegenüber der Natur.
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