Die Kegelrobbe (Halichoerus grypus) ist die größte in Deutschland freilebende Raubtierart und neben dem Seehund die zweite an deutschen Küsten verbreitete Robbenart. Mit einem Gewicht von bis zu 300 kg und einer Länge von bis zu 2,5 Metern gehört sie zu den imposantesten Meeressäugern. Ihr Name leitet sich von der besonderen Kopfform und den kegelförmigen Zähnen ab. Diese charakteristische Form hilft der Robbe, ihre Beute besser zu greifen und zu zerkleinern. Zudem verleiht ihr kräftiger Körperbau ihr eine außergewöhnliche Schwimmfähigkeit, mit der sie auch starke Strömungen meistert.
Systematische Einordnung
Die Kegelrobbe gehört zur Ordnung der Raubtiere (Carnivora) und zur Familie der Robben (Phocidae). Innerhalb dieser Familie wird sie der Unterfamilie der Hundsrobben (Phocinae) zugeordnet. Ihr wissenschaftlicher Name Halichoerus grypus bedeutet so viel wie „Haken- oder Schnabelschwein des Meeres“, was auf ihre charakteristische Kopfform hinweist.
Taxonomische Klassifikation
- Reich: Tiere (Animalia)
- Stamm: Chordatiere (Chordata)
- Klasse: Säugetiere (Mammalia)
- Ordnung: Raubtiere (Carnivora)
- Unterordnung: Hundsrobbenartige (Pinnipedia)
- Familie: Robben (Phocidae)
- Unterfamilie: Hundsrobben (Phocinae)
- Gattung: Halichoerus
- Art: Kegelrobbe (Halichoerus grypus)
Im Gegensatz zum Seehund, der zur Gattung Phoca gehört, bildet die Kegelrobbe eine eigene monotypische Gattung (Halichoerus), was bedeutet, dass sie die einzige Art in dieser Gattung ist.
Verwandtschaft innerhalb der Robben
Die Kegelrobbe gehört zur Familie der Hundsrobben (Phocidae), die sich durch einige markante Merkmale auszeichnen:
- Sie haben keine sichtbaren Ohrmuscheln.
- Ihre Fortbewegung an Land erfolgt durch Rollen und Rutschen, da ihre Hinterflossen nicht unter den Körper gedreht werden können.
- Im Wasser bewegen sie sich mit Seitenschlägen der Hinterflossen fort.
Die nächsten Verwandten der Kegelrobbe sind andere Hundsrobben, darunter:
- Seehund (Phoca vitulina)
- Ringelrobbe (Pusa hispida)
- Bartrobbe (Erignathus barbatus)
- Mittelmeer-Mönchsrobbe (Monachus monachus)
Evolutionäre Herkunft der Kegelrobbe
Die Hundsrobben, einschließlich der Kegelrobbe, entwickelten sich vor ca. 25–30 Millionen Jahren aus Landraubtieren. Ihre nächsten Verwandten unter den heutigen Säugetieren sind die Marderartigen (Musteloidea), zu denen Otter, Dachse und Marder gehören.
Merkmale der Kegelrobbe
Im Vergleich zum Seehund ist die Kegelrobbe deutlich massiger gebaut. Während Seehunde einen rundlichen Kopf besitzen, zeichnet sich die Kegelrobbe durch eine spitz zulaufende Kopfform aus. Ihre kräftigen Vorderflossen erlauben ihr eine effiziente Fortbewegung sowohl im Wasser als auch an Land. Die Fellfärbung unterscheidet sich je nach Geschlecht: Männchen sind auf dunkelgrauem Grund hell gefleckt, während Weibchen auf silbergrauem Grund dunkle Flecken aufweisen.
Jungtiere kommen mit einem weißen Embryonalhaar (Lanugo) zur Welt, das nach etwa fünf Wochen durch normales Fell ersetzt wird. Während dieser Phase sind sie besonders auf die Fürsorge der Mutter angewiesen. Männliche Kegelrobben erreichen eine Körperlänge von bis zu 230 cm und ein Gewicht von etwa 220 kg, während Weibchen mit etwa 180 cm Länge und 150 kg Gewicht etwas kleiner bleiben. Zudem haben Männchen eine auffallend größere Nase als Weibchen, was auf den starken Geschlechtsdimorphismus innerhalb der Art hinweist.

Die dichte Fettschicht unter ihrer Haut hilft ihnen, kalte Temperaturen zu überstehen und ermöglicht lange Tauchgänge ohne raschen Wärmeverlust. Ihr Gehör ist äußerst empfindlich, wodurch sie selbst unter Wasser Geräusche von Beutetieren oder potenziellen Feinden wahrnehmen können.
Verbreitung und Populationen
Kegelrobben sind in drei voneinander getrennten Populationen anzutreffen:
- Ostatlantische Population: Diese Kegelrobben leben hauptsächlich an den Küsten Großbritanniens, Irlands, Nordfrankreichs, Islands und der Färöer-Inseln. Selten sind sie auch in der Nordsee oder Ostsee zu finden.
- Westatlantische Population: Diese Gruppe ist an den kanadischen Küsten von Labrador, New Brunswick und Nova Scotia verbreitet.
- Ostsee-Population (Halichoerus grypus balticus): Die Ostsee-Kegelrobbe gilt als eigenständige Unterart. Einst in der gesamten Ostsee verbreitet, wurde sie durch intensive Bejagung stark dezimiert und ist heute vor allem an den Küsten Schwedens, Finnlands, Lettlands und Estlands anzutreffen. In den letzten Jahren konnten jedoch vermehrt wandernde Jungtiere an den Küsten Polens und Mecklenburg-Vorpommerns gesichtet werden. Besonders im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sowie im Greifswalder Bodden hat sich eine kleine Population etabliert, die aktuell auf mindestens 290 Tiere geschätzt wird. Dies deutet auf eine langsame, aber vielversprechende Erholung der Population hin.
Kegelrobben im Wattenmeer
Im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer gibt es mehrere Kolonien mit Jungenaufzuchten, darunter eine bei der westfriesischen Insel Terschelling, auf der Kachelotplate westlich von Juist sowie auf dem Jungnamensand, einer Sandbank westlich der nordfriesischen Insel Amrum. Seit 2001 finden auch auf der Düne bei Helgoland regelmäßig Jungenaufzuchten der Kegelrobbe statt, wodurch sich eine stabile Nordsee-Kolonie entwickelt hat.
Außerhalb der Fortpflanzungszeit verteilen sich die Robben dieser Kolonien auf verschiedene Regionen innerhalb der Nordsee und vermischen sich dabei gelegentlich mit Seehunden. Besonders im Winter sind sie häufig im ostfriesischen Wattenmeer anzutreffen.
Verglichen mit Seehunden sind Kegelrobben im Wattenmeer jedoch weiterhin eine Seltenheit. Archäologische Funde zeigen, dass sie in früheren Jahrhunderten weit verbreitet waren und möglicherweise sogar in größerer Zahl vorkamen als Seehunde. Allerdings reagierte die Kegelrobbe deutlich empfindlicher auf den intensiven Jagddruck, sodass sie nahezu vollständig aus dem Wattenmeer verschwand.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann eine langsame Rückkehr der Art, insbesondere von den felsigen und unzugänglichen Küsten der britischen Inseln aus. Dennoch sind Experten der Ansicht, dass die Kegelrobbenpopulation im Wattenmeer weiterhin auf Nachschub aus Großbritannien angewiesen ist. Geburten bleiben dort ein seltenes Ereignis. Um die Jungtiere zu schützen, setzen sich die Mitarbeiter der Wattenmeer-Nationalparks aktiv für ihre Bewachung ein und sperren bekannte Liegeplätze ab, um sie vor Störungen durch Touristen oder Wattwanderer zu bewahren.
Kegelrobben in der Ostsee
Die Population der Kegelrobben in der westlichen Ostsee war bis in die 1930er Jahre beinahe vollständig ausgerottet, da Fischer sie als Konkurrenz ansahen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden erste Versuche unternommen, sie wieder anzusiedeln. Besonders im Greifswalder Bodden und rund um Rügen gibt es vermehrt Sichtungen wandernder Jungtiere.
2019 wurden in der Ostsee über 38.000 Kegelrobben gezählt, was ein Zeichen für eine positive Bestandsentwicklung ist. Vor der Küste Estlands wurde Ende 2023 sogar ein neuer Rekord von 6.300 Individuen festgestellt. Trotz Schutzmaßnahmen und steigender Populationen gibt es weiterhin Konflikte mit Fischern, die Schäden an ihren Fanggeräten beklagen. In Schweden und Finnland wurde daher eine begrenzte Jagd auf Kegelrobben erlaubt, um wirtschaftliche Verluste zu reduzieren.

Lebensweise und Ernährung
Außerhalb der Fortpflanzungszeit sind vor allem junge Kegelrobben sehr wanderfreudig, kehren jedoch regelmäßig zu ihren angestammten Fortpflanzungsstätten zurück. Während ihrer bis zu 20 Minuten andauernden Tauchgänge erreichen sie Tiefen von 140 Metern und ernähren sich hauptsächlich von Fisch. Ihr täglicher Nahrungsbedarf beträgt etwa 10 Kilogramm, wobei sie eine Vielzahl von Fischarten jagen, darunter:
- Lachs
- Dorsch
- Hering
- Makrele
- Scholle
Neben ihrer Hauptnahrung wurden Kegelrobben auch dabei beobachtet, wie sie größere Beutetiere wie Schweinswale, junge Seehunde und sogar Jungtiere der eigenen Art attackieren und fressen. Dieses Verhalten unterstreicht ihre Anpassungsfähigkeit und ihre Fähigkeit, opportunistisch auf die jeweilige Nahrungssituation zu reagieren. Besonders in Zeiten von Nahrungsmangel kann dies zu einer erhöhten Aggressivität innerhalb der Population führen.
Parasiten
Die Kegelrobbe ist Wirt für verschiedene Parasiten, darunter die Seehundlaus (Echinophthirius horridus), eine spezielle Läuseart, die sich an das Leben im Wasser angepasst hat. Diese Läuse können Hautreizungen und Fellverlust verursachen, beeinträchtigen jedoch in der Regel nicht die allgemeine Gesundheit der Tiere. Darüber hinaus sind Kegelrobben von verschiedenen Darmparasiten und Bandwürmern betroffen, die sie durch den Verzehr infizierter Fische aufnehmen können. Diese Parasiten spielen eine wichtige Rolle im ökologischen Gleichgewicht der Meeresfauna und beeinflussen das Immunsystem der Robben.
Gefährdung und Schutz
Kegelrobben spielten für Robbenjäger wirtschaftlich eine untergeordnete Rolle, wurden jedoch von Fischern intensiv bejagt, da sie als Nahrungskonkurrenten galten. Heute sind sie in den meisten Ländern geschützt, und ihre Bestände haben sich erholt. Im östlichen Atlantik gibt es derzeit etwa 100.000 Kegelrobben, wobei 40 % der weltweiten Population an den Küsten Großbritanniens leben.
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) stuft die Kegelrobbe als „nicht gefährdet“ (Least Concern) ein. In Deutschland hingegen wird sie aufgrund regional niedriger Bestände als stark gefährdet eingestuft. Schleswig-Holstein klassifiziert sie als gefährdet, während Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sie als wandernde gefährdete Art einstufen.
Die Kegelrobbe steht unter dem Schutz der Berner Konvention, die sie als streng geschütztes Wildtier aufführt. Die Europäische Union listet sie in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, wodurch Schutzgebiete für diese Art eingerichtet werden müssen. Zudem wird sie im deutschen Bundesnaturschutzgesetz als besonders geschützte Art geführt.
Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung der Ostsee-Kegelrobbenpopulation. In den 1980er Jahren war der Bestand auf 1.500 Tiere gesunken, unter anderem durch Umweltgifte wie DDT. Dank strenger Schutzmaßnahmen und verbesserter Umweltbedingungen stieg die Population bis zum Jahr 2000 wieder auf 15.000 Tiere an und erreichte 2005 etwa 22.000 Exemplare. Mehrere Schutzgebiete mit Besuchsverbot wurden eingerichtet, um die Tiere nicht zu stören.
Allerdings kommt es in Schweden und Finnland regelmäßig zu Konflikten mit Fischern, die Schäden an ihren Fanggeräten beklagen. Jährliche wirtschaftliche Verluste werden allein in Schweden auf 50 Millionen Kronen geschätzt. Daher genehmigten Naturschutzbehörden eine begrenzte Regulationsjagd von jährlich etwa 200 Tieren.
Zusätzlich zu den allgemeinen Schutzbestimmungen wird die Ostsee-Kegelrobbe in Anhang II der Bonner Konvention (CMS) geführt, wodurch internationale Zusammenarbeit zur Erhaltung dieser Population erforderlich ist. Trotz steigender Bestandszahlen bleibt die Situation fragil, weshalb weitere Schutzmaßnahmen und eine verstärkte Sensibilisierung der Öffentlichkeit notwendig sind, um den langfristigen Fortbestand dieser beeindruckenden Tierart zu sichern.
Fazit
Die Kegelrobbe ist eine faszinierende und anpassungsfähige Meeressäugerart, die trotz starker historischer Bejagung und Umweltbelastungen eine bemerkenswerte Erholung zeigt. Während sie in früheren Jahrhunderten in weiten Teilen der Nordsee und Ostsee weit verbreitet war, führten intensive Jagd und Umweltgifte zu drastischen Bestandsrückgängen. Dank konsequenter Schutzmaßnahmen, verbesserter Umweltbedingungen und internationaler Zusammenarbeit steigen die Populationen der Kegelrobben in vielen Regionen wieder an.
Besonders im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer und in der Ostsee ist eine langsame, aber vielversprechende Rückkehr dieser beeindruckenden Tiere zu beobachten. Schutzgebiete, Forschungsprojekte und gezielte Naturschutzmaßnahmen tragen dazu bei, die Bestände weiter zu stabilisieren und zu erhöhen. Dennoch bleibt die Kegelrobbe in einigen Regionen gefährdet, insbesondere aufgrund von Konflikten mit Fischern und menschlichen Eingriffen in ihren Lebensraum.
Langfristig sind weiterhin strenge Schutzmaßnahmen und ein nachhaltiger Umgang mit marinen Ressourcen erforderlich, um die Erholung der Kegelrobbenpopulationen zu sichern. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Wert dieser Tiere im Ökosystem sowie ein koordiniertes internationales Management werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Kegelrobbe als festen Bestandteil der marinen Fauna zu bewahren. Ihre Rückkehr ist nicht nur ein Erfolg für den Artenschutz, sondern auch ein Zeichen dafür, dass gezielte Schutzmaßnahmen einen erheblichen positiven Einfluss auf gefährdete Tierarten haben können.
Kommentieren